So viel Arbeit steckt in euern Äpfeln
23.05.2016Neuseeland, Nordinselabenteuer
(0 Bewertungen)Pakowhai & Hastings
Wenn man in Neuseeland nach Arbeit sucht - so als Backpacker - dann beginnt man vielleicht - wie wir - im Internet. Nach vielen Bewerbungen über diverse Foren ohne jeglichen Erfolg, oft ganz ohne Antwort sind wir zugegebenermaßen ein wenig nervös. Die ausgehende Apfel-Saison in Hastings bringt uns dann doch die ersehnten ersten NZ$ auf’s gemeinsame Konto.
Dort angekommen, haben wir jedoch weder bei PickNZ (der nationalen Saisonarbeiterzentrale, speziell für Fruchtanbau), noch beim dort vermittelten Contractor Andrew Glück. Wir machen uns aber einfach nix draus, schlendern über den örtlichen, sehr großen Farmers Market und machen Sport am Fluss in Clive. Da sich auch am kommenden Tag noch keiner bei der uns gegebenen Nummer regt, hören wir auf den Rat der iSite und nutzen unsere Zeit: wir machen den Grand Circuit am Te Mata Peak.
Unterwegs halten wir Ausschau nach Orchards und gehen dann einfach mal in ein Packhouse rein, in dem es nach Äpfeln aussieht. Beeindruckt von unserer Spontanität und der Naivität, in Flipflops dort rein zu spazieren, sendet man uns zum Konkurrenten eine Straße weiter. Leider ist dort am Wochenende niemand zu finden. Am Montag morgen jedoch gibt die Rezeptionsdame von Johnny Appleseed nicht auf, bis sie beim dritten Telefonat endlich einen Orchard Manager gefunden hat, der uns dringendst sucht. An seinem Block (die Plantagen werden in Blocks eingeteilit) angekommen freut sich Denver, eben jener Orchard Manager, über die neuen Arbeitskräfte und trägt emsig unsere Daten in die Arbeitsverträge ein. Wir haben also endlich einen echten Job. „Backpackers need money and that’s why they’re good hard working. We like backpacker.“ Weil gesetzlich eine 24h Frist zum Ãœberdenken des Vertrags vorgegeben ist, starten wir unseren Job am kommenden Tag.
Aber nicht nur das: wir dürfen sogar im Orchard übernachten. Einfach hinter die Scheune stellen, in der sich unser Aufenthaltsraum, Toiletten sowie heiße Dusche und eine kleine Küchenzeile befindet. Und so tun wir das dann auch und lernen zwei tschechische Kollegen kennen: Aneta und Karel, die bereits seit 10 Wochen Äpfel pflücken. Sie arbeiten jedoch in einem anderen Team.
Erste Apfelernte in Pakowhai
So nah am - genauer gesagt im Arbeitsplatz - zu übernachten, hat sein Gutes: man hat ein paar Minuten mehr Schlaf. Nicht genug jedoch, denn der Arbeitsalltag beginnt um 7:30h. Für uns am ersten Tag erstmal mit einer Einführung. Wir treffen uns also um 8.00h mit Denver, der uns gleich mit zwei weiteren neuen Backpackern (Tscheche und Slowakin) in die Prozesse und Gefahrenstellen in den Orchards einweist.
Health & Safety wird seit einigen Jahren groß geschrieben in Neuseeland. Und wir lernen, dass jeder Arbeitnehmer automatisch durch die staatliche Unfallversicherung abgesichert ist. Wow
Anschließend geht’s endlich in die Äpfel. Der zu bearbeitende Block befindet sich zwei Autominuten weit weg in Pakowhai. Und dort werden wir herzlichst von Warren, dem Assistent Orchard Manager, in Empfang genommen, zu unserer Reihe und dazugehörigen Bin (Apfelkiste) geführt und mit unseren Arbeitsgeräten bestückt. 1. Lehrstunde: wie benutze ich eine Leiter, das Pflückkörbchen und ein Schneidegerät. 2. Lehrstunde: welche Äpfel sind zu pflücken. 3. Lehrstunde: Wieso wir uns nicht verletzen sollen. Ganz einfach - Warren hat keine Lust auf den Papierkram.
Wir starten also etwas verunsichert. Die Bäume hängen zwar voll, aber nicht alle Äpfel sehen gleich reif aus. Und dazu müssen wir noch jeden einzelnen Stiel abschneiden, damit dieser keinen anderen Apfel beim Ausleeren des Körbchens in die Kiste beschädigt. Irgendwie kommen wir uns mächtig langsam vor.
Sind wir auch. Aber alle, auch der Traktorfahrer und der Qualitätsprüfer, versichern uns, dass wir ca. 3 Wochen brauchen, um richtig reinzukommen. Und so arbeiten wir nach unserem eigenen Tempo. Um 10h, also kurz nachdem wir angefangen haben, gibt’s die erste „tea time“. 15 Minuten Kaffeepäuschen: heißes Wasser, Tee, Kaffee, Milch und Zucker werden vom Arbeitgeber gestellt. Very british, finden wir. Um 12.30h ist dann eine halbe Stunde Mittagspause und um 15h gibt’s nochmal 15 Minuten Tee oder Käffchen.
Aber das Beste an unserem Jobstart: wir haben direkt einen Feiertag. Der heißt ANZAC (Australian & New Zealand Army Corps) Day und ist all den Soldaten - egal ob gefallen oder heimgekehrt - gewidmet, die in den vielen Kriegen der Welt Mutter England unterstützten. Entweder man arbeitet und bekommt anderthalbfachen Lohn, oder man hat frei. Stolz auf das, was wir schon so geleistet haben, genießen wir unseren ersten NZ public holiday und machen eine Wanderung zum Cape Kidnappers.
Knochenjob im Sonnenschein
Spätestens am dritten Tag haben sich einige Routinen eingefahren: für’s erste Päuschen gibt’s ein vorbereitetes Schnittchen, Lunch besteht aus frischen Wraps (die wir in Marty schnell zubereiten) mit viel am Vorabend geschnibbeltem Gemüse und später Müsliriegel. Die vorherrschenden Geräusche sind Traktoren, sich über mehrere Reihen unterhaltende und lachende Maori oder Samoa und hin und wieder das dumpfe Aufschlagen eines herunterfallenden Apfels.
Nicht nur, dass wir immer noch nicht viel schneller sind. Nun macht sich auch ein bisschen der Rücken und Nacken bemerkbar. Das Körbchen, das man über die Schultern vor sich spannt, fasst zwischen 10-15kg. In die Bin gehen gute 400kg. Wir schaffen gerade zwischen 2-3 Bins pro Tag. Und obwohl es nachts und entsprechend auch in den ersten Morgenstunden bereits ordentlich kalt (bis 2 C) ist, heizt die Sonne die Tage mächtig auf. Das heißt in den ersten 90 Minuten Apfel pflücken kein Gefühl in den Fingern (Warren erzählt uns, dass üblicherweise jeden Morgen eine dünne Schicht Eis die Äpfel umhüllt), den Rest des Tages Tanktop und Sonnenbrille und nachts vorm Schlafen gehen eine heiße Wärmflasche für die kalten Füßchen. Ohne die geht nix mehr.Und der Spruch mit der 3-Wochen-Gewöhnungszeit bewahrheitet sich
Und so pflücken und pflücken wir, wechseln hin und wieder den Block und damit die Apfelsorte und unterhalten uns stets angeregt mit allen in der Pause, oder wenn der QC (quality controller), Assistant Manager oder unser Traktorfahrer eben mal ein Schwätzchen in den Baumreihen halten wollen.
Am Ende pendeln wir uns bei ca. 4 Bins pro Tag ein. Eigentlich verspricht man uns nach einer guten Woche noch eine weitere Woche Arbeit, doch diese Hoffnung wird direkt am nächsten Tag zerstreut. Die verbleibende zweite oder dritte Ernte überlässt man den heimischen Arbeitern bzw. Samoanern. Die sind zugegebenermaßen echte Erntemaschinen. An unserm letzten Tag erleben wir ihre Präzision: sie haben ihre eigenen QC’s, die eine Gruppe von ca. 12-15 baumstarken Männern koordinieren, welche unsere knapp ein Zehntel volle Bin in weniger als 5 Minuten randvoll pflücken.Wir mögen diesen Job
Bäm. Fertig. Ende Johnny Appleseed
Zum Abschluss gibt unser Arbeitgeber noch einen aus: die komplette andere Gruppe (ausschließlich Backpacker inkl. unserer beiden tschech. „Mitbewohner“) bekommt Würstchen und Burger sowie Freibier an der Scheune. Wir sitzen mit einer Hand voll „unserer Leute“ also zwischen vielen unbekannten Gesichtern, denn wir waren ja in einer Gruppe voller locals. Aber wir genießen diese Geste. Toller Arbeitgeber. Dankbarkeit breitet sich aus.
Nahtloser Ãœbergang zum neuen Job
Noch bevor die Party bei Johnny Appleseed endet, machen wir uns auf den Weg nach Havelock North. Dort haben wir uns mit dem Contractor Andrew verabredet, um einen neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Er sieht aus wie ein ausgedienter Bodybuilder. Leider entspricht er dem Klischee. Als wir zurückkommen, ist die Party leider schon aus und wir sind quasi allein. Und so nutzen wir die Stille, um uns auf unseren neuen Job vorzubereiten: Schuhe säubern, Arbeitsklamotten waschen, etc.
Unsere neue Arbeit befindet sich am Rande von Hastings bei Chris. Er und sein Vater sind die Besitzer des über drei Blocks (oder mehr, die wir ggf. nicht kennen) verteilten Orchards. Wir sind Teil einer kleinen Gruppe von hauptsächlich Backpackern, die die späte Ernte vornehmen. Zum ersten Mal schieben wir die Folie am Boden der Baumreihen beiseite, die das Sonnenlicht zur gleichmäßigeren Reifung der Äpfel reflektiert. Und schon am ersten Tag gehen uns die sinnentleerten Konversationen der 18jährigen deutschen „Kollegen“ auf die Nerven. „Und, wie voll ist deine Bin schon?“
Zum Glück setzt sich Qualität durch
Am zweiten Tag gibt es gleich morgens ein Mitarbeiter-Meeting. Eine der Deutschen musste bereits „gehen“. Sie hat nicht verstanden, dass es bei der Ernte von Exportware vor allem auch um deren Qualität geht, nicht um ihr Tempo Bins voll zu bekommen. Offenbar hat sie weder beim Pflücken, noch beim Entleeren in die Bins Vorsicht walten lassen. Entsprechend ändern sich nun die sinnentleerten Themen: „Heute mach’ ich mal ordentlich, will ja meinen Job behalten.“ Wir arbeiten weiter unser Tempo.
Im Orchard sind die Wege etwas weiter. Man läuft gute 15 Minuten zur Toilette. Es gibt auch kein heißes Wasser oder Kaffee/Tee. Dafür dürfen wir die Dusche dort nutzen und sparen uns somit den Weg nach Napier (dort nutzten wir sonst die öffentliche Dusche im Schwimmbad). Und am nächsten Tag fragt uns verdutzt der junge Manager Chris, der neben seltener Qualitätskontrolle hauptsächlich einen der Traktoren fährt, warum wir nach der Dusche gefragt hätten und wo wir denn schlafen. Er lädt uns direkt ein, bei ihm zu stehen.
Ein kleines Gästezimmer zwischen seinem Haus und den Garagen.„Es gibt zwar keine Küche, aber einen kleinen Raum mit Bett, TV, einer heißen Dusche und Toilette“
Dankbar nehmen wir an. Und wir nehmen an, dass wir das Angebot erhalten, weil Chris mit unserer Arbeit sehr zufrieden ist. Manchmal holt er unsere vollen Kisten ab und sagt in genervtem Ton: „So schwer ist das doch nicht“. Ganz offensichtlich ist er mit der Arbeit der anderen Pflücker nicht immer so ganz zufrieden. Also machen wir weiter, pflücken nicht so mega schnell, dafür aber deutsch ordentlich. Und Chris meint, dass wir das klasse machen.
Unser Arbeitgeber kann nicht mit uns sprechen
Mit unserem eigentlichen Arbeitgeber reden wir dafür immer nur zwei Sätze. Er kommt täglich, geht durch die Reihen und fragt, wieviele Bins wir denn am Vortag gefüllt hätten. Ende des Gesprächs. Naja, mit Frauen redet er generell nicht. Und er scheint nicht so happy mit unserem Tempo. Doch das sagt er uns nicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass sein Kunde - Chris der Besitzer - unsere Arbeit für sehr gut befindet.
Klar wird uns das jedes Mal, wenn wir zu zweit im Schnitt am Tag sechs Bins (also drei jeder) füllen und unsere Kollegen jeder einzeln fünf. Dazu muss man grundlegend erklären, dass es zwei Bezahlungsmodelle gibt: Contract-Rate (zwischen 35,- und 45,- NZ$ pro Bin, abhängig von der Sorte) oder eben Mindestlohn, der zurzeit 16,47 NZ$ pro Stunde beträgt. Der Contractor (unser direkter Arbeitgeber) bekommt je Bin 41,- $. Er zahlt jedem außer uns 35,- $ je Bin (weil alle anderen eben genügend Bins am Tag voll machen) und uns 8 Stunden Mindestlohn. Allerdings macht er mit uns eben nur minimal, oder gar keinen Gewinn. Aber wie schon gesagt, er beschwert sich nicht ernsthaft bei uns darüber.
Als wir dann eines Abends von Chris zu sich auf ein Bier eingeladen sind, reden wir mit ihm und seiner Frau (aus England) viel über die Arbeit, über seine diesjährige erste (und hoffentlich einmalige) Erfahrung mit einem Contractor wie Andrew und über Äpfel. Er hat sich eher erfahrende, professionelle Erntehelfer gewünscht. Sonst arbeitet er mit seiner eigenen Truppe zusammen. Wir bilden die Ausnahme, mit der er sehr zufrieden ist. Aber wir quatschen auch über Europa, über Neuseeland, über Kultur und Geschichten des Lebens.
Die Saison geht zu Ende
Insgesamt genießen wir die Arbeit dort sehr: abends eine heiße Dusche, ein bisschen neuseeländisches Fernsehprogramm und immer liebe Gesellschaft von den beiden Labrador-Hündinnen Suzy & Kate. Wir steigern unsere „Produktionsrate“ auf durchschnittlich 6-7 Bins pro Tag, einmal schaffen wir sogar 8. Und immer noch sind wir langsamer als die anderen. Und das erschüttert die eigene Erwartungshaltung manchmal dermaßen, dass man unglaublich genervt ist, angespannt.
Manchmal stampft man dann auf am Boden liegende Äpfel ein. Dann wieder tut einem das unglaublich leid
Und schließlich machen wir manchmal die zweite oder dritte Ernte. Das heißt, dass vorher schon mal in der Reihe gepflückt wurde und noch nicht ganz reife Früchte zum Nachreifen hängen geblieben sind. Jedoch sind das dann nicht mehr so viele, wie beim Durchgang zuvor. Wir werden also wieder langsamer.
Und schließlich bricht der letzte Tag auf Chris’ Orchard an, doch er bietet uns an, noch bei ihm zu stehen zu bleiben. Andrew hat noch einen Juice Job für uns, der angeblich zwei Tage Arbeit bringt. Dabei geht’s um eine billige Apfelsorte (die in Deutschland übrigens sehr beliebt ist: Braeburn), die ohne Rücksicht auf Qualität einfach von den Bäumen geholt werden soll. Entsprechend niedrig ist die Contract-Rate. Aber die Bäume hängen voll. Alle ernten nun also im Akkord, manchmal fliegen die Äpfel von der Leiter in die Bin. Und am Ende des Tages sind wir fertig mit dem Orchard. Unser geliebter Arbeitgeber hält es nicht mal für nötig, uns zu sagen dass wir keine Arbeit mehr haben (das wissen wir vom Orchardbesitzer) und was nun wird. Aber das kennen wir ja und lassen den finalen Feierabend mit liebgewonnenen walisischen, irischen und französischen Kollegen ausklingen. Und am nächsten Abend grillen wir eins auf das Ende der Apfelsaison. Und schon haben wir fünf Wochen Apfelernte absolviert.
Unangenehme Nachwehen
Eine Besonderheit in Neuseeland: man wird wöchentlich bezahlt. Und meist mit knapp einer Woche Verzug (z.B. Freitag für die vorangegangene Woche). Beim Blick aufs Konto fiel uns nach gut zwei Wochen auf, dass Andrew uns beim letzten Mal bedeutend zu wenig überwiesen hatte. Nach Jahrhunderte langem Emailverkehr kommt heraus: er meint wir hätten einen Tag weniger gearbeitet, als wir tatsächlich haben. Leider kann uns Chris auch nicht helfen, denn er hat dazu keinen Aufzeichnungen (sind ja auch nicht seine Arbeiter). Also schlucken wir die bittere Pille und lernen, nix mehr ohne Stundenzettel zu machen, den unser Arbeitgeber gegenzeichnet.
Das war also seine späte Rache für unsere langsame, zu qualitative Arbeit
Und was hat das mit euren Äpfeln zutun?
Zugegeben, die meisten Äpfel werden nach Asien verschifft. Aber ein paar wenige schaffen es durch die strengen Einfuhrkontrollen der EU ins heimische Supermarktregal und tragen dann einen kleinen Sticker oder sind zumindest am Preisschild markiert: aus Neuseeland. Wir durften so einiges erfahren und lernen & wissen durch diesen Job (und zum Beispiel den Packhouse Job in Gisborne), wieviel Arbeit in einem Apfel steckt.
Vielleicht beißt ihr also mal in einen Braeburn, den wir gepflückt haben (doch eher unwahrscheinlich).
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